Welche Formen des Narzissmus‘ gibt es?
In der Literatur lassen sich zahlreiche Unterformen des Narzissmus‘ finden, die sich in Bezeichnung und Anzahl unterscheiden. In einer empirischen Studie von Russ und Kollegen (2008) konnten drei Subtypen festgestellt werden:
- grandios-maligne Narzissmus
- vulnerabel-fragile Narzissmus
- exhibitionistischer Narzissmus mit hohem Funktionsniveau
Anzahl und Ausprägung der Eigenschaften können individuell unterschiedlich stärker oder schwächer ausfallen. Oft können auch Mischformen aus einzelnen Subtypen vorliegen oder es werden nicht alle Eigenschaften in einer Unterform vereint. Je nach Situation, Persönlichkeitsausprägung, Umwelteinflüsse, können die narzisstischen Persönlichkeitsmerkmale zwischen den Subtypen schwanken.
Exhibitionistischer Typus mit hohem Funktionsniveau:
Dieser Subtyp wird zur Form des offenen Narzissmus gezählt. Hier wird die eigene Grandiosität ungehemmt nach außen getragen, Aufmerksamkeit und Anerkennung um jeden Preis. Prahlerisches Selbstbewusstsein gepaart mit Arroganz und Distanziertheit. Ihr Auftreten und ihre überzogene Selbstdarstellung setzen sie im Berufsleben erfolgreich ein und können Konkurrenten schon mal „wegbeißen“, die auf ihrer Erfolgsleiter im Weg stehen. Sie sind stark leistungsorientiert, dynamisch, kontaktfreudig, können sexuell verführerisch und provokativ auftreten, haben kaum Leidensdruck. Solange sich dieser Typus auf der Erfolgswelle befindet, ist die Welt in Ordnung und die narzisstischen Züge sind weniger anstrengend für das Umfeld. Bleibt der Erfolg jedoch aus oder gerät er an Kritik / Misserfolg, kann einem die volle narzisstische Wut entgegenschlagen und die zerbrechliche Selbstwertregulation kommt zum Vorschein. Der Narzissmus ist bei diesem Typ der Antrieb für ihren Erfolg.
Grandios-maligner Typus:
Diese Form ist der extrovertierte „Klassiker“ unter den Subtypen und zeichnet sich neben der obligatorischen Großartigkeit, Arroganz, dem Empathiemangel und dem unersättlichen Drang nach Aufmerksamkeit durch ihr z. T. hohes Aggressionspotential (narzisstische Wut) mit antisozialem Verhalten aus. Nicht selten kann es dabei zu physischer und psychischer Gewalt kommen, die sich bis zu einer Gefahr für das Umfeld steigern kann. Paranoide Wahrnehmungen bis zum völligen Realitätsverlust führen dazu, dass anderen intrigante Absichten unterstellt werden. Es herrscht ein hohes Maß an Misstrauen, Rachsucht und blinder Wut.
Vulnerabel-fragiler Typus:
Diese Form wird auch als verdeckter Narzissmus bezeichnet und ist in seiner Erscheinung eher untypisch. Meist ist der Subtyp bei Frauen anzutreffen. Auf den ersten Blick machen sie kaum einen narzisstischen Eindruck und werden als solche auch nicht wahrgenommen. Ganz im Gegenteil, sie wirken schüchtern, selbstunsicher, depressiv, ängstlich, verletzlich oder sensibel. Zwar wird hier auch eine Großartigkeit der eigenen Person gezeigt, diese ist jedoch abgeschwächter und wechselt sich mit der eigenen Unzulänglichkeit ab. Das Grandiositätsgefühl ist eher nach innen gerichtet und wird über Fantasien der eigenen Einzigartigkeit ausgelebt. Es dient zum Schutz, um die dahinterliegenden Gefühle von Angst, Minderwertigkeit oder Scham zu überdecken. Kritik oder Misserfolge sind schwer zu ertragen und können sie in schwere Krisen stürzen, die bis hin zum Suizid führen können. Ihre Empathiefähigkeit ist sehr gering ausgebildet, ein Hineinversetzen in andere fällt ihnen sehr schwer. Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen sind dafür bekannt, dass sie ihre eigenen dysfunktionalen Verhaltensmuster nicht erkennen und sich somit auch nicht in eine Therapie begeben würden, denn schließlich geht es ihnen großartig und alles läuft gut. Der einzige Typus, bei dem die Chance sich in Therapie zu begeben, noch am größten ist, ist der vulnerabel-fragile Typus. Die depressiv, ängstlichen Stimmungen sind dabei meist der Türöffner für eine Therapie.